Pippi Langstrumpf

TheaterKiel Schauspiel

Jahr: 2022

Regie: Silke Johnna Fischer

Bühne u. Kostüme: Stefan Morgenstern

Dramaturgie: Jens Paulsen

Foto: Schauspiel Kiel, Privatarchiv

Project Description

„Pippi Langstrumpf“ glänzt als turbulentes Weihnachtsmärchen im Opernhaus

Karo-Schürzenkleid und Ringelsocken, das stimmt schon mal bei „Pippi Langstrumpf“ im Opernhaus Kiel. Herr Nilsson und das Pferd Kleiner Onkel sind auch dabei; und die Villa Kunterbunt ist in der herrlich turbulenten Inszenierung des Kinderbuchklassikers von Astrid Lindgren sowieso eine Schau. Viel zu gucken und zu hören also beim Weihnachtsmärchen am Theater Kiel. Und dafür gab es zur Premiere ordentlich Applaus.

Kiel. Ein Pferd oben unterm Dach – das geht doch gar nicht. Sagt Tommi. Und Annika auch. Frau Prysselius vom Waisenrat würde sowieso zustimmen. Aber bei Pippi geht eben vieles, was bei anderen nicht geht. Deshalb mögen wir sie ja. Jona (6) aus Gettorf zum Beispiel, der an Pippi toll findet, „dass sie so frech ist“.
Im Kieler Opernhaus ist gerade noch alles Summen, rote Wangen und gespannte Erwartung.
Da fliegt auch schon mit Karacho allerlei Zeugs aus dem Dachfenster, taucht das Mädchen mit den wohlbekannten roten Zöpfen auf – und das Pferd dazu. Vom Band trötet es prima schmutzig-peppig, und schon steckt das Publikum mittendrin in den verrückten Abenteuern von Astrid Lindgrens berühmter Kinderbuchheldin.
   Eine herrlich turbulente Fantasterei hat Regisseurin Silke Johanna Fischer mit ihrem Ensemble um „das stärkste Mädchen der Welt“ angezettelt – eine wilde Mischung aus Kasperle-Nostalgie, grotesker Überzeichnung und zeitgemäßem Action-Spaß. Und immer haargenau so, dass Raum bleibt für Astrid Lindgrens Sprachwitz und Pippis schlagfertige Sprüche. Im Turbo geht es durch die Stationen des ersten Pippi-Buchs. Da wird verfolgt und gejagt, geklettert und mit Türen und Fenstern geklappt. Und die kunterbunte Villa, die Ausstatter Stefan Morgenstern auf die Bühne gebaut hat, entpuppt sich als wahres Überraschungsei.
   Die gesprengte Kaffeetafel steht ebenso auf dem Programm wie das Kräftemessen auf einem magischen Jahrmarkt und die Interventionen von Frau Prysselius, die sich Pippi nur mit einer Ladung Feuchttüchern nähert. Und am Ende hat auch der verschollene Piratenkapitän Langstrumpf seinen Auftritt.
   Das spielfreudige Ensemble switcht locker durch Stimmungen und Rollen, vervollständigt durch eine gut aufgelegte Schar von Statistinnen im spiel-sing-tanzenden Einsatz.
Agnes Richter spielt die Prysselius, die Kinder nur mag, wenn sie ordentlich und leise sind, unter den lila Locken mit köstlichem Etepetete – und setzt der Inszenierung ein paar komödiantische Extra-Glanzlichter auf. Ebenso wie Marius Borghoff und Julian Melcher, die beim Slapstick in bester Stan- und Ollie-Manier glänzen. Mal als freche Strolche, die Pippi ihren Goldschatz klauen, mal als drollig tumbes Polizistenduo, das immer wieder grandios daran scheitert, Pippi ins Kinderheim zu bringen.
   Dazwischen ist Jennifer Böhms Pippi der Charmebolzen, der mit einer Mischung aus ADHS und Spielwut alles am Laufen hält. Tobend und hibbelnd, so vorlaut wie schlagfertig. Dabei gelingt es Böhm ganz beiläufig, unter den schnellen Sprüchen nicht nur eine Warmherzigkeit leuchten zu lassen, die auch für die Prysselius reicht, sondern auch die Traurigkeit des (beinahe) elternlosen Mädchens. Hauke Petersens Tommy und Laura Mahrlas Annika geben verlässliche Freunde ab, die gar nicht anders können, als Pippis Anderssein zu erliegen. Kein Wunder, dass sie nach der Pause mit Wuschelköpfen und Karowesten schon deutlich pippifiziert erscheinen.
Die Pointendichte ist hoch, das Timing stimmt. Dazu groovt und scheppert die Musik von Dominik Tremel vielfältig von Pop zu Tom Waits, von der Westerngitarre zum Sound-Effekt. Und das kleine und große Publikum im ausverkauften Haus geht hörbar mit.
   So sieht man im frech-vergnügten Spektakel, wie Lügen oft einfach wundersame Geschichten sind – und dass es lohnt, auch mal den Kindern zuzuhören. „Ich bin gerade nachdenklich geworden‘, sinniert Grit aus Wattenbek, während Tochter Lotta (10) und ihre Kusine Charlotte (9) noch überlegen, ob Pippi Langstrumpf nun wirklich ein Weihnachtsmärchen ist. Aber das ist den Mädchen bald auch egal, weil Annika tolle Zöpfe hat und Pippi jede Menge Bonbons. Und Grit sagt: „Hier kommt das so richtig raus, was Astrid Lindgren gemeint hat.“

Von Ruth Bender Kieler Nachrichten