Jorinde & Joringel
Schauspiel Chemnitz
Jahr: 2023
Regie: Carsten Knödler
Bühne u. Kostüme: Stefan Morgenstern
Musik: Bernd Sikora
Videoprojektionen: Daniel Gäfgen
Dramaturgie: Agnieszka Jabłońska
Foto: Dieter Wuschanski, Privatarchiv
Project Description
Premiere von „Jorinde und Joringel“ im Spinnbau: Von lüsternen Kröten und rappenden Raben
Mit der Bühnenfassung des Grimmschen Märchens leistet das Chemnitzer Schauspielhaus seinen Beitrag zum diesjährigen Theater-WeihnachtsmärchenReigen. Das Stück hat das Zeug zu einem Hit. Die erste Geige spielen jedoch nicht die Spieler.
Die Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm setzen ja eher auf Kürze und Handlung, verlieren wenig Worte über die detailreiche Ausgestaltung der jeweiligen Spielorte. Wälder sind finster, Burgen wehrhaft, Schlösser prächtig – die genaue Ausgestaltung bleibt der Fantasie der (Vor-)Lesenden und
Zuhörenden überlassen. Stefan Morgenstern geht mit seinem Bühnenbild in der Inszenierung des Märchens „Jorinde und Joringel“, die am Samstagabend auf der Großen Bühne des Chemnitzer Schauspielhauses in der Inszenierung von Carsten Knödler Premiere feierte, einen anderen Weg.
Stück punktet mit fantastischer Kulisse
Mit viel Liebe zum Detail kreierte er mit seinem Team eine kunstvolle und fantastische Kulisse. Das Märchen startet in einem verzauberten Wald voller Bäume, in die Menschen von einer bösen Zauberin (Katka Kurze) hinein gezaubert wurden. In die Waldkulisse wurden geschickt kleine Bildschirme und
Projektionsflächen hineingearbeitet, aus denen etwa Tier- und Menschenaugen den Zuschauenden entgegen blinzeln oder später auch eine Sylphe (ein Luftgeist, ätherisch schön gespielt von Vera-Cosima Gutmann). Im Laufe der Handlung wird die Kulisse noch mit Anpassungen als Sumpf, Räuberhöhle und Märchenschloss bespielt – stets gezeigt als komplexe Welt. Ein wirklich eindrucksvolles Bühnenbild.
Skurrile Figuren brechen Klischees
Doch was ist ein Weihnachtsmärchen ohne seine Figuren? Das sind in dieser Inszenierung vor allem das namensgebende Liebespaar Jorinde (ebenfalls Vera-Cosima Gutmann) und Joringel (Richard Koppermann). Sie wird entführt und in einen Vogel verwandelt, er begibt sich auf die Suche nach ihr und versucht sie mit der symbolträchtigen Blauen Blume freizubekommen. Soweit so gut. Unterwegs trifft er jedoch den lustigen Frosch Schleimi seine Gefährtin, die Kröte (Ulrike Euen). Die beiden leben, wie sie behaupten, schon seit 50 Jahren mit Leidenschaft zusammen, ohne verheiratet zu sein, wie siebetonen. Dann gibt es noch einen rappenden Raben (mitreißend: Magda Decker) und einen Räuber
(Sven Zinkan), dessen gute Seele bei Nacht ein Eigenleben führt. Sie alle sorgten in ihrer liebevollen Skurrilität immer wieder für Lacher und Zwischenapplaus – völlig zu Recht, denn mit ihren gezeigten
Eigenheiten brachen die Spielenden gängige Klischees auf, zeigten Figuren mit Schwächen, fernab von Norm.
Die große Liebe in ihren Facetten
Was nun eigentlich Norm ist, hinterfragen, wenn auch eher unterschwellig, die Paarkonstellationen, die sich im Stück finden und präsentieren. Gezeigt wird die leidenschaftliche Promiskuität von Frosch und Kröte, die spielerisch-kameradschaftliche Einheit von Jorinde und Joringel, die Zauberin, die sich der Liebe verwehrt und stattdessen ihren Kontroll- und Herrschaftsgelüsten hingibt, und ein Paar, das sich erst zum Schluss als solches entpuppt. Damit, dass sich immer Männlein und Weiblein zu dualen Beziehungskonstrukten zusammenfinden, bleibt die Inszenierung zwar im bürgerlichen Erwartungsrahmen, ist aber sehr divers in den Beziehungsebenen, die die Figuren leben.
Alles in allem ist „Jorinde und Joringel“ ein kurzweiliges, actionreiches und spannendes Weihnachtstück, an dem sowohl Kinder als auch Erwachsene ihre Freude haben können. Das
großartige Bühnenbild und die liebevoll ausgearbeiteten Kostüme bilden ein leckeres Sahnehäubchenobenauf.
Sarah Hofmann 27.11.202 FREIE PRESSE