„Wo immer du bist“

ForumTheater Stuttgart

Jahr: 2024

Regie: Dieter Nelle

Bühne u. Kostüme: Stefan Morgenstern

Foto: Sabine Haymann, Privatarchiv

Project Description

Premiere im Forum Theater Stuttgart
Wie Pech und Schwefel

Im Forum Theater hat Intendant Dieter Nelle Kristen Da Silvas Stück „Wo immer du bist“ inszeniert.

Mag sein, dass die Uhren auf einer von Süßwasser umgebenen Insel im Nordosten Kanadas langsamer ticken, und doch wirkt der Verandatratsch zwischen der betulichen und doch so energischen Glenda (Schirin Brendel) und ihrer ebenso streitlustigen wie treusorgenden Schwester Suzanne (Britta Scheerer) zuweilen, als wäre man bei den Waltons zu Gast und nicht – wie im Text behauptet – in der Gegenwart angesiedelt.
„Die Waltons“ hieß eine US-amerikanische TV-Serie aus den 1970ern, die vom Leben einer ländlich lebenden Familie zwischen 1933 und 1969 erzählt. In dem 2019 im Theater von Orangeville, Ontario, uraufgeführten Stück „Wo immer du bist“ der kanadischen Autorin Kristen Da Silva ist von Hühnern die Rede, benannt nach unliebsamen Nachbarn, um sie leichtherzig schlachten zu können, von geplatzten und bevorstehenden Hochzeiten, von beobachteten Flirts auf der Kirchenbank und davon, dass Suzannes erwachsene Tochter Beth weder ihrer übergriffigen Mutter noch der neugierigen Tante Einblick in ihr Privatleben gewährt.
Wie Brendel und Scheerer derart seichte Ärgernisse genüsslich skandalisieren, sich förmlich daran laben, hat seinen Reiz. Und wenig überraschend bei einer Regiearbeit von Dieter Nelle, dessen Arbeit für Komplexität und Tiefgang steht:
Das Vier-Personen-Stück, das am Donnerstag im Forum Theater Premiere hatte, dreht sich auch um existenzielle Fragen. Um Krankheit, Tod und den Umgang damit. Dass deren Einbettung in ein ländliches Idyll, das Ausstatter Stefan Morgenstern mit einem Outdoor-Szenario aus Klappläden und Pflanzenkübeln wirkungsvoll skizziert, recht bieder daher-kommt, mag auch daran liegen, dass Farina Violetta Giesmann als Beth es mit der darstellerischen Nuancierung ihrer älteren Kolleginnen nicht aufnehmen kann. Allzu routiniert spult sie ihren Text herunter, mehr genervter Teenager als glaubwürdige Ärztin. Auch Christian Streit als Nachbar bleibt darstellerisch in den Untiefen. Allerdings: Den größten Anteil daran, dass dieses Beziehungsgeflecht so vorhersehbar wie ein Kaffeekränzchen ist, hat der in Klischees verhaftete Plot selbst.
Und so sind es einige mit Wortwitz gespickte Dialoge und Szenen mit den wie Pech und Schwefel verbundenen Schwestern, die mit dem Abend versöhnen. Tragisch und komisch zugleich wird es, als Suzanne und Glenda gegen deren Schmerzen einen Joint rauchen und ihren Rausch in unkontrollierten Lachanfällen auskosten. Und auch die Mitteilung zahlreicher letzter Wünsche durch eine vom eigenen Schicksal scheinbar Ungerührten, bewegt sich gekonnt auf dem Grat zwischen Lachen und Weinen.

 

Julia Lutzeyer, 16.02.2024, STZ