Der kleine Lord Fauntleroy
Weihnachtsmärchen von Marc Gruppe
nach dem Kinderbuch von Frances Hodgson Burnett
Schauspiel Chemnitz
Jahr: 2017
Regie: Silke Johanna Fischer
Bühne u. Kostüme: Stefan Morgenstern
Musik: Steffan Claußner
Dramaturgie: Katrin Brune
Foto: Dieter Wuschanski
Project Description
Die Tricks eines Astropiraten
Diese Geschichte gehört zu den Kult-Fernsehsendungen zu Weihnachten. Jetzt ist „Der kleine Lord Fauntleroy“ in Chemnitz auf der Bühne zu erleben – und es wird einem warm ums Herz, wie dieser aus einem Griesgram einen liebevollen Großvater macht.
Ein Astropirat – was ist das denn? Gibt es nicht? Und ob: In der Weihnachtsinszenierung „Der kleine Lord Fauntleroy“ des Chemnitzer Schauspielhauses kann man einem begegnen. Aber eigentlich ist es ja ein Hörfehler, denn es geht um Aristokraten, die der Gemischtwarenhändler Mr. Hobbs in New York – wunderbar verschmitzt verkörpert von Dirk Glodde – nicht ausstehen kann. Und weil Cedric Errol, der Tag für Tag auf dessen Kekskiste sitzt, quasi bei ihm aufwächst, den freundlichen älteren Herrn mit dem Kinnbärtchen als väterlichen Freund betrachtet, kann er diese merkwürdige Spezies auch nicht leiden. Dumm nur, dass er plötzlich selbst einer von Adel ist.
Schon der Kramladen von Mr. Hobbs, mit all seinen Auslagen und dem Blick durch die Schaufensterscheibe auf die belebte Straße, ist eine Augenweide für das Publikum. Ausstatter Stefan Morgenstern zaubert mit viel Liebe eine naturalistische Kulisse auf die Bühne, die die Atmosphäre des Jahres 1872 bebildert. Über dem Geschäft die Wohnung von Mutter Errol. Hier sieht man gleich, dass sie trotz fleißiger Arbeit mit ihrem Sohn Cedric mal eben so über die Runden kommt. Bis dieser Rechtsanwalt auftaucht, der verkündet, dass Cedric der Enkel eines steinreichen englischen Aristokraten ist und umgehend über den großen Teich reisen soll, damit er gebührend auf sein Erbe vorbereitet werden kann.
(…) Regisseurin Silke Johanna Fischer tritt mit ihrer Inszenierung der Geschichte nicht gegen die Erinnerungen an den Film an, sondern folgt vielmehr deren Sound. Konstantin Weber ist ein vergnügt-aufgeweckter Cedric, der mit kindlichem Charme alle für sich einnimmt. Selbst bei seinem Großvater gelingt ihm das, obwohl dieser als ausgemachter Griesgram gilt, was Wolfgang Adam glaubwürdig zeigt, ohne seiner Figur die Tür zu verbauen, durch die sie, von der unbeschwerten Art des Enkels geläutert, wieder in die menschliche Gesellschaft zurückkehren kann, von der sich der Earl längst verabschiedet hatte. Was auch seine dienstbaren Geister freut: Mr. Havisham, dem Christian Ruth eine gehörige Portion Unterwürfigkeit verleiht, durch die sich aber immer wieder auch Spuren von Aufmüpfigkeit Bahn brechen. Oder Mrs. Dawson, der bei Susanne Stein bei allem Gehorsam ihrem Brötchengeber gegenüber das Herz am rechten Fleck sitzt. Maria Schubert ist die erfrischend selbstbewusste und unabhängige Mutter von Cedric, darf aber auch die aufgedrehte und schrille Betrügerin Minna Tipton geben, die sich Cedrics Erbe unter den Nagel reißen will.
Bei aller Märchenhaftigkeit der Geschichte, in der Liebe und Freundschaft einen ziemlich schnellen Sieg über Kaltherzigkeit und Standesdünkel davontragen, bleibt zudem die Erkenntnis, dass Vorurteile zu überhaupt nichts gut sind. Mr. Hobbs hasst die Briten, der Earl wiederum ist nicht gut auf die Amerikaner zu sprechen, weshalb er anfangs seine Schwiegertochter gnadenlos ignoriert. Alle Seiten müssen sich eines Besseren belehren lassen. Und damit die ganze Sache nicht allzu rührselig gerät, sorgen witzige Details in der Inszenierung auch für so manchen Lacher in den Zuschauerreihen. Das ist fabelhafte Familienunterhaltung, weshalb sich das Publikum begeistert zeigte. Es gab Jubelrufe und reichlich Applaus.
Uta Trinks / Freie Presse
Chemnitz – Weihnachtszeit ist die Zeit des großen Familientheaters. Nach „Zar Wasserwirbel“ (2015) und „Kalif Storch“ (2016) begeistert in diesem Jahr „Der kleine Lord Fauntleroy“ das Chemnitzer Publikum. („…“)
Im Schauspielhaus erzählt Regisseurin Silke Johanna Fischer in einer rund zweistündigen Bühnenfassung die rührende Geschichte (nach Frances Hodgson Burnett).
Schon die erste Szene im Laden von Mr. Hobbs versetzt das Publikum durch die liebevoll gestaltete Kulisse (Bühne und Kostüm: Stefan Morgenstern) in das frühe 20. Jahrhundert. Die stimmige und detailverliebte Gestaltung von Bühne und Kostüm setzt sich im ganzen Stück fort.
Konstantin Weber spielt Cedric als aufgeweckten und mutigen Jungen, der sich vollkommen ohne Vorurteile in das Abenteuer seines neuen Lebens stürzt. Wolfgang Adam ist der strenge Earl, zunächst spröde und zugeknöpft, der aus dem Verhalten seines Enkels lernt und immer menschlicher wird. Cedrics Mutter wird warmherzig und emanzipiert von Maria Schubert (in einer Doppelrolle auch als wunderbar aufgedrehte Minna zu sehen) dargestellt. Auch in den Nebenrolle brillieren die Darsteller Dirk Glodde (Mr. Hobbs), Dominik Puhl (Dick, der Schuhputzer), Christian Ruht (Anwalt Havisham), Katka Kurze (Tante) und Susanne Stein (Dawson). Heimlicher Star des Stückes ist aber eine Ritterrüstung mit „Eigenleben“.
Zahlreiche Passagen sind aus dem Film bekannt, trotzdem hat das Stück eine ganz eigene Identität. Zurecht war das Publikum am Ende begeistert von den Darstellern und der Inszenierung insgesamt und dankte dies mit Standing Ovations.
Victoria Winkel / Morgenpost Chemnitz
Auf Dorincourt feiern sie schon. Jetzt kann Weihnachten kommen
Premiere im Rückblick: Silke Johanna Fischer bringt mit dem Chemnitzer Ensemble einen rührenden „kleinen Lord“ auf die Schauspielbühne – Selbst gestandene Premierenabonnenten wischen sich die Augen –
Alles richtig gemacht. Das Chemnitzer Schauspiel kann wieder damit rechnen, dass die mehr als 20 folgenden Aufführungen des neuen Weihnachtsmärchens vor einem vollen Haus über die Bühne gehen. Schon nach den Proben hat sich offenbar rumgesprochen, dass der Chemnitzer „Kleine Lord“ mindestens ebenso zu schwitzenden Augen führt, wie der Kultfilm mit Ricky Schroder und Sir Alec Guinness von 1980, der zu TV-Weihnachten gehört wie Dinner for one an Silvester. Einige Vorstellungen sind schon ausverkauft. Die Premiere heute Abend wird einen zusätzlichen Schub geben. Das Publikum war begeistert. Und nicht nur das kleine.
Spurensuche. Wie schaffen es die Chemnitzer, jedes Weihnachtsmärchen zu einem (womöglich) noch heißeren Hit zu machen? Nehmen wir „Der kleine Lord“. Premiere vorhin, 18 Uhr.
1. Sie nehmen das Publikum ernst. Wollen Alt und Jung was bieten. Und bieten beste Schauspieler auf. Machen nicht eine Pflichtaufgabe aus der Produktion, sondern bieten Schauspiel-Kunst. Susanne Stein, die in Chemnitz schon Richard III. verkörperte, ist sich nicht zu schade, Dawson, die Hauswirtschafterin des Earls zu spielen. Und wie sie das tut! Sie äfft den Misanthropen nach, dass niemand das Zucken in den Mundwinkeln verhindern kann. Und sie spielt mit dem jungen Lord Indianer, dass Nscho-tschi, die Winetou-Schwester, von ihr lernen könnte. Oder Wolfgang Adam. Natürlich muss er ein bisschen Alec Guinness sein. Auch Kinder wollen einen Wiederkennungswert. Aber wie er sich wandelt, und wie er dann dasteht, und mannhaft, aber bis ins tiefste Herz gerührt, den „Verlust“ seines neuen „Kumpels“ und Nachfolgers beklagt, das ist einfach großartig.
2. Es gehört Mut dazu, einen Kultfilm auf die Bühne zu bringen. Vielmehr noch als ein Buch. Eine Kamera kann wunderbare Ritte und Kutschenfahrten durch herrliche Landschaften einfangen. Geht hier nicht. Sparsame, aber wirksame Mittel sind angesagt. Einfach eine große Halle zu machen, wow, ist das groß, Schloss. Und die Kinder kriegen große Augen. Die schlichte, wenn auch einfache Größe heißt Schloss in Kinderaugen, ist nicht das kleine Kinderzimmer daheim. Wie dreckig es den Leuten gehen kann, zeigt ein eigen konstruiertes Drehbühnenbild. Hätte man mit Worten nie so gut illustrieren können. Kompliment an Stefan Morgenstern, der nicht nur die gichtige Einsamkeit vor dem arschverbrennenden Kamin des Earls herrlich illustrierte, sondern auch amüsante Kostüme kreierte wie das rote Gestrüpp der falschen Schleichkatze Tipton. Darauf kommen wir noch.
3. Atmosphäre schaffen. Wenn Dick, der größte und beste Schuhputzer aller Zeiten, mit seinem Steißsitzwärmer im Schloss einfällt, fragen sich nur Erwachsene, wie er mit diesem Unding in den Zeppelin gekommen ist. Aber er ist sofort er, wo immer er auftaucht. Oder der Fast-Zuse-PC. An dem nicht der Anwalt und Diener, sondern der Chef persönlich sitzt. Was ist heute ein Märchen, in dem Rechner nicht mehr vorkommen? Natürlich ist die Mutter viel zu „reich“ gekleidet. Aber wer so lieb und altruistisch ist wie Mutter Errol, kommt nicht in „bösen“ Klamotten daher.
4. Wenn wir schon dabei sind: Die Schauspieler identifizieren sich mit ihren Rollen. Spielen nicht einen Part runter. Maria Schubert ist eine junge Mutter. Und sie ist eine Dame. Und sie ist diese Huren-Schwindlerin. Lieb, hübsch , böse, kreischend – Maria Schubert wieder mal eine Augenweide. Mr. Hobbs, der global missdenkende und später bekehrte Bronx-Händler, nie eine linke Anti-Kapitalismus-Ratte, immer das Vorbild des Freundes – Dirk Glodde bringt das toll rüber. Dominik Puhl darf nur der zweitbeste Freund sein. Aber er rettet schließlich die Chose. Der Schuhputzer als Champion. Kluges Gossenkind. Herrlich!
5. Ohne Humor geht gar nichts. Christian Ruth als Mr. Havisham ist mindestens so hoppla, wie Freddy Frinton in Dinner for one, auch wenn er über alles andere stolpert, nur nicht über einen Tigerkopf. Die running-gag-Ritterrüstung als – griechischer – Chor, totenkopfkommentierend ist ebenso gagig wie die Visagen aus den aufwendig gemalten Ahnenporträts (Kompliment an den Malsaaal!). Katka Kurze (die lebenslustige Antagonistin des Griesgrams) ist die animierend fröhliche Aufheberin des retardierenden Moments (puh, klingt das geschwollen. Auf deutsch: Sie passt genau in diese Phase des Stücks). Jannick Rodenwaldt, Student im Studio, durfte zur Premiere den Unterglück-Überglück-Pächter des Earls spielen. Spielen… Gut gemacht. Und das Pony, in der Klabautermann-Lounge, das weder schwarz noch ein Deichselschwein war, köstlich!
6. Du musst glauben, was Du siehst. Automatisch. Konstantin Weber, neu in Chemnitz seit dieser Saison, ist kein Teeny mehr. Aber ratzfatz nehmen wir ihm den „kleinen“ Lord ab. In der Sprache, im Tollen mit Ball und über die Bühne, in der liebevollen Geste zu Mutter, Freunden und Opa. Sitzt da, und verkündet die wichtigste Christenbotschaft aller Zeiten: Geben ist seliger denn nehmen. Er ist der „kleine“, obwohl er der Große ist (besser: der Lange). Hinkriegen. Werdet erstmal wie die Kinder. Ganz große Klasse!
7. Du darfst nichts überfrachten. Silke Johanna Fischer lässt’s schon mal wuseln (Straße vor Hobb’s Laden – der am Rande immer die falsche coldes/open-Tafel nach innen zeigt). Aber sonst sie beschränkt sich auf Zeichen. Da genügt ein Ball, ein lockeres Springen die Treppe hoch, ein überhebliches Glas (Havisham vor dem Earl-Kamin), die antischwärende Fußbinde (in der Armetei), der hereinschwebende Weihnachtsbaum. Nichts überzogen, alles passend.
Alles richtig gemacht. Gestandene Premiereabonnisten sind auch Väter, Mütter, Opas und Omas, Oder Tanten und Onkel. Es war einmal … dass sich Kinnhochträger über die Weihnachtsmärchen im Abo beschwert haben. Im Chemnitzer Schauspiel werden die immer besser, wenn’s überhaupt geht. Und wenn sie nicht gestorben sind, wird’s so weiter gehen. Gaudete, heißt’s im Advent. Freut Euch!
Der Förderverein Die Theater Chemnitz