Das Bildnis des Dorian Gray
Theater Augsburg
Jahr: 2013
Choreografie u. Regie: Michael Pink
Bühne u. Kostüme: Stefan Morgenstern
Foto: Nik Schölzel
Project Description
Dorian Gray – ein schöner Mensch wird rücksichtslos
Das Theater Augsburg bringt Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ mit frisch komponierter Musik auf die Bühne.
„…Was geschieht, wenn Schönheit und ewige Jugend zum Götzenbild des Lebens werden, wenn Genusssucht und Ausschweifungen einziger Zweck des Daseins sind? Oscar Wilde hat sich Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Novelle „Das Bildnis des Dorian Gray“ philosophisch und mit sarkastischem Blick auf die Gesellschaft seiner Zeit mit diesen Fragen beschäftigt. Ein faszinierender Stoff, der auch heute Bedeutung hat und den der britische Choreograf Michael Pink nun für das Theater Augsburg zu einem abendfüllenden Handlungsballett verarbeitete. Zusammen mit Bühnenbildner und Ausstatter Stefan Morgenstern entwirft er ein stimmiges Bild des Fin de Siècle. Fragen nach Schein und Sein, Moral und Sittenverfall stehen auf einer allgemeingültigen Ebene. Die neueste Produktion des Augsburger Balletts ist eine Uraufführung, die Besonderes und Ungewohntes bietet. „Das Bildnis des Dorian Gray“ ist das erste Ballett am Theater Augsburg, für das die Musik in Auftrag gegeben, passgenau komponiert wurde. Aufwand und Wagnis haben sich gelohnt. Den Jazz ebenso wie Chopins Walzer a-Moll op. 34 zitierend, zeichnet das Werk von Tobias PM Schneid melodisch genau die Dramaturgie der Handlung nach, illustriert sie in Klang und Rhythmus.
Dass die für Neukompositionen übliche kurzfristige Einstudierung eine große Herausforderung für die Augsburger Philharmoniker wurde, war bei der Premiere nicht zu spüren. Sicher und mit Gespür für die diversen Stimmungen brillierten sie unter Leitung von Roland Techet.
Zynischer Verführer
Eine weitere Besonderheit des Abends: Choreograf Pink bricht mit den Konventionen des Balletts und erzählt Dorian Gray nicht nur in Bewegungen, sondern auch mit Worten. Der Reinheit und Schönheit des klassischen Tanzes stellt er die Manipulationskraft der Sprache gegenüber. Schauspieler Toomas Täht in der Rolle des Lord Henry spricht Originaltexte Wildes und überzeugt als zynischer Verführer. Kalt und unerschrocken zieht er seine Versuchsanordnung, einen jungen Menschen nach seinem hedonistischen Ideal zu formen, durch: „Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.“
Doch überzeugt diese Idee, mit Tanz und Worten eine neue Sprache zu schaffen, nicht durchgehend. Der Tanz wird oft zum Nebenbei und verliert seine emotionale Ausdruckskraft. Das geht vor allem auch auf Kosten des in vielen bisherigen Aufführungen glänzenden Patrick Howell als Dorian Gray, der Augsburg nach dieser Spielzeit bedauerlicherweise verlassen wird. Kontur und Präsenz bekommt seine Rollengestaltung nur in den Soli, in jenen Szenen, in denen Dorian Scham und Verzweiflung zeigt.
Pinks klassisch geprägter Stil schafft vor allem in den Ensembletänzen oft konventionell wirkende Szenen, die er dann aber furios aufbricht, wie etwa in der Ballszene vor der Pause, die in einer wüsten Orgie endet. Reizvoll sind die Perspektivwechsel, die Pink bietet: die burleske „Romeo- und Julia“-Aufführung, erst aus Zuschauer-, dann aus Hinterbühnensicht. Die Rolle des sich verändernden Gemäldes nimmt ein leerer Rahmen ein, vor oder hinter dem Dorian steht, und sich selbst betrachtet oder betrachtet wird. Die Verrohung seines Wesens, die Gier, Rücksichtslosigkeit und Vergnügungssucht spiegeln sich in den Menschen um ihn herum, die sich mit den Jahren verändern, während er jung und schön bleibt.
In Erinnerung bleibt der Abend auch wegen zweier Frauen, die klassische Tanzkunst und emotionalen Ausdruck kongenial verbinden: Coco Mathiesson als zart-berührende Sibyl Vane und Ana Dordevic als lasziv-verführende Gräfin. …“
Birgit Müller-Bardorff / Augsburger Allgemeine
Parabel von trügerischer Schönheit und Unmoral
„…Faustisch, die Idee von ewiger Jugend und Schönheit, der keine Untat des Lebens etwas anhaben kann. Und der Gedanke daran bleibt verführerisch! Auch wenn Oscar Wilde schon 1890 der in Dekadenz schwelgenden Gesellschaft des Fin de Siècle mit seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ neben einer Lösung auch deren unausweichliches Grauen in eindrücklicher Prosa präsentierte (Sittenskandal und Moralprozess inklusive).
Sein Buch wurde seither oft für Film und Theater bearbeitet. Seltener dagegen kommen Tänzer mit dem Stoff in Berührung – obwohl Alter bzw. körperliche Verletzlichkeit gerade ihnen schnell zum (Karriere-)Verhängnis werden können. In Zeiten fataler Einsparungen und drohender Tanzensembleauslöschungen ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet kleinere Kompanien wie Schwerin (Marc Bogaerts, 2004), Würzburg (Anna Vita, 2009) und nun das Ballett Augsburg sich an das abgründige Thema wagen. Am 1. Dezember 2013 war Premiere im Großen Haus.
Grays Geschichte hatte Tanzchef Robert Conn schon lange auf der Wunschliste. Seinen choreographischen Verbündeten – erfahren in Sachen Handlungsballett und vertraut mit dem Erzählpotenzial klassischen Schrittvokabulars – fand er aber erst in Michael Pink, ehemals Solist des English National Ballet und seit 2002 künstlerischer Leiter des Milwaukee Balletts (USA). Tatsächlich spornte dessen knapp zweistündige Wilde-Adaption die Interpreten – darunter besonders die Männer Patrick Howell in der Titelrolle, Riccardo De Nigris als Maler Basil Hallward und Jacob Bush (James Vane: Bruder der unglücklichen ersten Geliebten Grays, Sibyl – sensibel getanzt von Coco Mathieson) zu Höchstleistungen an. Um der fein trainierten und spielfreudigen Truppe allerdings wahre Charaktere auf den Leib zu schneidern, fehlten seiner insgesamt recht geradlinigen Inszenierung unerwartete Spitzen oder pfiffige Kanten.
Dem Publikum gab eine parodistische Einlage – „Romeo und Julia“ als Ballett im Ballett (einmal aus Zuschauer-, dann aus Kulissensicht) – Anlass zum Lachen. Der Rest des Zweiakters ließ sich ebenso mühelos wie unaufgeregt verfolgen: Klar strukturiert veranschaulichen in gut gestrickter Szenenabfolge ausgesuchte Episoden wie die Eroberung und Verstoßung Sibyls oder (in sich ähnelnden Tableaus) zunehmend exaltiertere Society-Parties die schicksalshafte Existenzzerrüttung des Beaus. Trotz seines Scheiterns, Tote und Schuld zu verdrängen, hüllt er seinen Körper bis zuletzt in unschuldiges Weiß.
Sein quasi mephistophelischer Verführer ins moralisch Bodenlose ist Toomas Täht – mittels wohlplatzierter Worte, also ohne die Ausdrucksmöglichkeiten des Tanzes zu nutzen. In Stefan Morgensterns ansprechender, anhand diverser Versatzstücke zwischen Künstleratelier und Gesellschaftssalon changierender Bühnenatmosphäre, redet er dem reichen Naivling Dorian Gray Oberflächlichkeit ein und die Vernunft aus. Anfangs zu leisen, melodiösen Klängen des Auftragskomponisten Tobias PM Schneid, der im zweiten Teil seiner ersten Ballettpartitur das Orchester der Augsburger Philharmoniker manchmal in Bezug auf das Ballettgeschehen grundlos aufgeregt agieren lässt.
Dennoch gelingt dem Produktionsteam um Michael Pink ein runder Tanzabend, der ohne mediale Unterstützung den ins gemalte Porträt verlagerten Verfallsprozess des Protagonisten Gray bewältigt! In einem von Selbstzweifeln motivierten Solo Howells, im beziehungsweise mit dem rollenden Gemälderahmen bündelt Pink auch die sonst wenig spürbare innere Anspannung seiner Hauptperson: ein einprägsamer Kulminationspunkt, wenige Szenen vor dem finalen Bild-Selbstmord….“
Vesna Mlakar / Die Deutsche Bühne